New Space – New Work
Die Verkörperung des Prozesses
Kreative Kollaboration ist heute wesentliche unternehmerische Gestaltungsaufgabe. Aber wie bildet man sie in der Innenwelt einer Organisation ab? Wie „kollaborieren“ Menschen, Möbel, Räume und Projekte? Eine Antwort führt in den Kindergarten.
Kreativität und Kollaboration bewegen Unternehmen in die Zukunft. Ihre spürbare und sichtbare Gegenwart beflügelt und beschleunigt Prozesse. Sie verschaffen unternehmerischen Vorsprung und menschliche Erfüllung.
Kreativität und Kollaboration sind wesensgleich. Sie wollen verändern, verbessern, vergrößern. Sie setzen auf Unterschiedlichkeit, Unabhängigkeit und Eigenverantwortung, suchen Vertrauen, Verlässlichkeit und Langfristigkeit und bauen auf gemeinsame Ziele und Werte. Und sie sind zutiefst menschlich, denn sie sind ebenso kraftvoll wie verletzlich.
Die Befähigung einer Organisation zur Entfaltung von Kreativität und Kollaboration ist heute eine der wesentlichen unternehmerischen Gestaltungsaufgaben. Rapide Marktveränderungen verlangen agile, sich ständig wandelnde Organisationsformen und Arbeitsweisen. Überträgt man die agile Denkweise in den Raum, dann muss auch dieser ein Höchstmaß an Flexibilität besitzen, sich zu wandeln – der Raum wird idealerweise zu einer sich ständig verändernden Verkörperung des Prozesses.
Das Interieur tritt somit in den Rang einer in Prozesse integrierten Persönlichkeit. Es begleitet, befähigt und gestaltet – es übernimmt eine Rolle in der kreativen Kollaboration.
Von der Lerntheorie lernen
Es ist bemerkenswert, dass diese Rolle in den meisten Unternehmen bis heute kaum besetzt ist. Oder nur mit Statisten. Arbeitsumgebungen haben zumeist noch immer etwas Endgültiges und im wahrsten Sinn des Wortes Unverrückbares. Sie dokumentieren damit einerseits zumindest unternehmerischen Nachholbedarf. Zum anderen aber auch Forschungsbedarf, denn das direkte, wechselseitige Zusammenwirken neuer Arbeitsweisen und Arbeitsumgebungen – im Prinzip Möbel zum Teil eines kreativen Prozesses zu machen – ist wissenschaftlich kaum reflektiert.
Dies ist eigentlich verwunderlich. Denn es gibt insbesondere in der Lerntheorie eine Vielzahl von Modellen, Hypothesen und empirischen Untersuchungen, die hochrelevante Ansatzpunkte für Explorationen in die Welt des Zusammenwirkens von lernenden Menschen und befähigenden Interieurs bieten.
Wegweisend ist hier die neurobiologische Forschung: Sie zeigt uns in faszinierenden Bildern, wie Lernprozesse durch soziale Einbindung, Teilen von Informationen, individueller Mitgestaltung und unterstützende und herausfordernde Lernumgebungen beschleunigt werden.
Den wohl plakativsten lernpsychologischen Einblick gibt uns Mitchel Resnick vom MIT Media Lab in „Lifelong Kindergarten“. Seine Vorstellung, eine Welt voller spielerisch kreativer Menschen zu fördern, die ständig neue Möglichkeiten für sich und ihre Gemeinschaft erfinden, baut fundamental auf das spielerische und kreative Lernen im Kindergarten.
Die in seinen Studien untersuchte Ausgestaltung von Lernumgebungen mit Spielmaterial, ins Spiel integrierte digitale und technologische Lernmittel, die Bereicherung kreativer Prozesse durch aktive Bewegung statt durch passives Sitzen sind im Grunde Steilvorlagen für die Entwicklung innovativer Arbeitsumgebungen.
Wie können wir das, was Resnick mit “Cultivating Creativity through Projects, Passion, Peers and Play” umschreibt, in die Gestaltung kreativer Arbeitsorte, in ein Raumdesign für kreative Kollaboration übersetzen?
Kreative Kollaboration sichtbar machen
Kreative Zusammenarbeit ist die mächtigste Kraft in einem Unternehmen. Es gibt nicht den einen Weg, sie im Unternehmensprozess zu verankern. Entscheidet sich aber ein Unternehmen, Projekte konsequent in kreativer Kollaboration in Wirkung zu bringen, so ist das „Sichtbarmachen“ dieser Arbeitsweise über das Raumdesign eine Chance mit hoher Symbolkraft. Es prägt die Unternehmensidentität im Sinne einer offenen, kreativen, ja fast spielerischen Mitarbeiterkultur nicht nur nach innen, sondern verstärkt die Attraktivität bei Kunden, Partnern und nicht zuletzt bei der Mitarbeitersuche.
Kreative Kollaboration als Raummuster: Raummodule übernehmen in wechselnden Anordnungen eine vernetzende Rolle im Prozess.
Sichtbarmachen von kreativer Kollaboration bedeutet dabei nicht zwangsläufig, von heute auf morgen das gesamte Raumdesign eines Unternehmens neu zu gestalten. Es bedeutet auch nicht, aufwändige Campus-Landschaften anzulegen, die zwar die Interaktion zwischen Mitarbeitern stärken, aber Vernetzungsmöglichkeiten auf Projektebene vernachlässigen. Es ist aber die Möglichkeit, Schritt für Schritt Orte zu schaffen, die es ermöglichen, neues, agiles Verhalten einzuüben, um immer tiefer in die Organisation hineinzuwirken.
Neue Typologie von Funktionsmöbeln
Was zeichnet diese Orte aus? Wenn wir sie – den Idealen des kreativen, spielerischen Lernverhaltens folgend – als Orte einfallsaktueller Veränderbarkeit, raumgreifender Bewegbarkeit, zeitgleicher wie zeitungleicher Entwickelbarkeit, sofortiger und plakativer Darstellbarkeit, und individueller und gemeinsamer Begreifbarkeit definieren, ergeben sich entsprechend hochflexibler Verhaltensmuster innovative Gestaltungsmuster für diesen Ort.
Es kommt Bewegung in die Sache. Tische, umgebende Multifunktionswände, Schreibtische, Stehpulte, Sitz-Store-Trolleys, Multi-Werkwagen organisieren sich (und ihre Kollaborations-Projekte) durch ihre verbindende Formenwelt vielleicht mehr, als das sie organisiert werden.
Es entsteht eine neue Typologie von Funktionsmöbeln, die sich in wandelbaren Konstellationen in Projekte integrieren, und eine hochadaptive und vernetzende Rolle übernehmen. Sie sind – ständig gefordert – einerseits geprägt durch ihre reduzierte, fast schon robuste Einfachheit. Andererseits zeichnen sie sich aus durch intelligente Integrationsmechaniken für Hardware-Systeme, über die sowohl Projekt-Management-Content zugespielt als auch eine Synchronisation mit simultanen (weltweiten) Projekt-Settings ermöglicht werden kann.
Experimentieren am Modell: Spielerisches Ausprobieren unterschiedlicher Konstellationen im Raum.
Raumdesign für kreative Kollaboration ist heute noch kein fest umschriebener Designansatz. Fest steht aber, das die Gestaltung der Arbeitsumgebung vor einem Paradigmenwechsel steht. Die weiter zunehmende Intensität kreativer Kollaboration und das globale reale und digitale Zusammenrücken von Menschen „an einen spielerischen Arbeitstisch“, künftig vielleicht sogar „Spieltisch“, werden den Erfolg von Unternehmen maßgeblich bestimmen.
Der Druck, entsprechende Systeme zu entwickeln, wächst. Vielleicht sollten wir für die weitere Entwicklung unsere Kinder nicht nur am Eingang des Kindergartens abgeben, sondern ihnen einfach mal einige Stunden bei ihrer gemeinsamen „Arbeit“ zuschauen.